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Farbstiftbäume

 

Einst, als sich meine Welt noch leicht von der Realität ins Magische verschieben liess, bekam ich von jemandem ein tolles Geschenk: Einen Bleistiftspitzer. Keinen modernen, der die abgespitzten Überreste in einem Behälter auffängt, sondern einen ganz gewöhnlichen. Bald wurde das Spitzen von Farbstiften zu meinem Hobby. Was mich daran faszinierte, waren die bunten Ränder an den Holzkringeln. Rot war wunderbar hübsch, blau entzückend. Und erst hellgrün und gelb! Spitzte ich vorsichtig, so wurden die Kringel lang und rollten sich zu anmutigen Rosetten zusammen. Einziger Nachteil an diesem Hobby: Die Stifte wurden kürzer und eine neue Schachtel mit Farbstiften lag nicht drin. - Aber hatte ich nicht oft schon mitgeholfen, wenn Mutter gesammelte Samen wieder aussäte, mit einem Schäufelchen Erde bedeckte und täglich goss? Daraus wuchsen dann Blumen, sogar riesige Sonnenblumen und mehr. Das müsste doch auch mit der ‚Spitzete‘ funktionieren. Also sammelte ich die Spitzabfälle auf – und als ich glaubte, genug davon zu haben, säte ich sie aus.

Ich weiss nicht, ob ich eigentlich WIRKLICH daran glaubte, auf diese Weise Farbstiftbäume zu erhalten. Aber die Vorstellung von der Ernte beflügelte mich, täglich zuverlässig zu giessen. Und wie das so ist mit nackter Erde, irgendetwas spriesst immer. Ich war begeistert, als sich das erste Grün zeigte. Aber von da an ging es mir nicht mehr schnell genug und ich gab irgendwann auf.

Ich spitze meine Stifte übrigens immer noch mit einem simplen Metallspitzer und beobachte fasziniert, wie sich das Abgespitzte aus der Klinge heraus kringelt. Und ‚Spitzete‘ riecht einfach umwerfend, echt!

Marianne Kunz-Jäger <